• 12.06.2023 12:46

  • von Jonathan Noble, Übersetzung: Stefan Ehlen

Wie die Formel 1 den Verbrenner vor dem Aus retten könnte

Wie die Formel 1 als Rennserie dafür sorgen könnte, dass Verbrennungsmotoren über 2035 hinaus eine Zukunft haben und warum dieses Thema wieder relevant ist

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 steht am Scheideweg. Denn mit ihrem neuen Motorenreglement für 2026 könnte die Rennserie Einfluss darauf nehmen, wie die Straßenautos der Zukunft aussehen.

Titel-Bild zur News: Benzin-Hinweisschild am Formel-1-Auto von Kevin Magnussen

Benzin-Hinweisschild am Formel-1-Auto von Kevin Magnussen Zoom

Das Interesse an der Formel 1 ist nämlich so groß wie selten zuvor: Audi steigt neu ein, Honda kehrt zurück, Ford wird Partner von Red Bull. Das neue Antriebskonzept mit Turbo-Hybrid-Motoren und nachhaltigen Kraftstoffen erweist sich als interessant für die Hersteller, die 2026 in der Meisterschaft vertreten sein werden.

Es geht aber um viel mehr als nur Motorsport bei der Neuausrichtung der Antriebsregeln in der Formel 1: Diese Regeln könnten als Blaupause dafür dienen, welche Motoren in künftigen Straßenautos verbaut werden.

Oder wie es Red-Bull-Teamchef Christian Horner nach der angekündigten Rückkehr von Honda formulierte: "Für mich heißt das, der Verbrennungsmotor ist nicht tot, sondern er lebt weiter."

Honda hatte einst den Ausstieg aus der Formel 1 nach der Saison 2021 mit der Elektrifizierung seiner Produktpalette begründet. "Vielleicht ist der Verbrenner für Honda aber wieder relevant geworden, weil es auf dem Weg der Formel 1 ab 2026 um nachhaltige Kraftstoffe und geringe Emissionen geht", meint Horner.

Die Politik vollzieht eine Trendwende

Auch politisch weht inzwischen ein anderer Wind. Jahrelang haben Regierungen den Herstellern klare Vorgaben hin zur Elektrifizierung gemacht. Doch in den vergangenen Monaten ist eine Abkehr von dieser Haltung erkennbar geworden. Die Europäische Union (EU) zum Beispiel wollte eigentlich ab 2035 den Verkauf von Autos mit Benzin- oder Diesel-Antrieb verbieten, aber das wird so wohl nicht eintreffen.

Denn auf dem Weg durch das EU-Parlament sind Zugeständnisse gemacht worden, damit die einzelnen Regierungen in Europa die notwendige Zustimmung für die Erlasse geben. Deutschland erwirkte beispielsweise eine Ausnahme für Motoren, die mit CO2-neutralen Kraftstoffen betrieben werden. Italien zog nach und ersuchte ebenfalls um eine Ausnahme für Biosprit.

Auf dem G7-Gipfel in Japan waren Straßenautos unlängst ebenfalls ein großes Thema. Dem Gremium gehören mit Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika sieben der wichtigsten westlichen Industriestaaten an. Und sie befanden nun: Nicht nur elektrische Autos haben eine Zukunft, sondern auch elektrifizierte, und Autos mit Kraftstoff-Antrieb.

In einer Zusammenfassung des G7-Treffens liest sich die neue Haltung so: Bis 2035 sollen ausschließlich elektrifizierte Straßenautos verkauft werden. Allerdings wolle man auch "erforderliche Infrastruktur und nachhaltige, CO2-neutrale Kraftstoffe inklusive nachhaltige Biokraftstoffe und synthetische Kraftstoffe" promoten.

Neuer Diskurs zur Zukunft von alternativen Antrieben

Parallel dazu steht der ökologische Fußabdruck von elektrischen Fahrzeugen über die gesamte Lebensdauer des Autos wieder mehr auf dem Prüfstand. Die entsprechende These lautet: Elektrische Fahrzeuge schneiden hier nicht wesentlich besser ab als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.

All das sorgt nicht für eine Kehrtwende der Automobil-Hersteller. Aber es setzt ein vernünftiger Diskurs darüber ein, ob Verbrennungsmotoren nicht doch eine Zukunft haben könnten, umso mehr, wenn sie von CO2-neutralen Kraftstoffen angetrieben werden könnten.

Selbst Honda gibt sich nun betont offen, was die künftige Ausrichtung seiner Straßenwagen-Sparte anbelangt, obwohl es vor wenigen Jahren bei seinem Formel-1-Ausstieg noch komplett auf elektrische Antriebe setzen wollte. Letzteres entspricht zwar noch immer dem Konzernkurs, aber Honda stellt sich zumindest auf eine verändertes Gesamtszenario ein.

Wie Honda jetzt zum Verbrennungsmotor steht

Honda-Boss Toshihiro Mibe sagte unlängst bei der Pressekonferenz zur neuen Zusammenarbeit mit Aston Martin ab 2026: Man dürfe sich der Möglichkeit nicht verschließen, auch in Zukunft Verbrennungsmotoren im Portfolio anbieten zu können.


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Wörtlich sagte Mibe: "Wir bewegen uns auf die Elektrifizierung zu und haben derzeit keinen Plan, was E-Fuels betrifft. Aber wenn man mich fragt, ob Straßenautos im Jahr 2035 oder 2040 ohne Kraftstoff fahren können, dann ist das für mich unvorstellbar."

"Ich glaube, wir müssen uns auf E-Fuels vorbereiten und auf eine entsprechende Nachfrage. E-Fuels bringen jedoch ihre eigenen Probleme mit sich, zum Beispiel die [hohen] Kosten."

Was Formel-1-Chef Domenicali stört

Auf eine solche Aufgeschlossenheit hat Formel-1-Chef Stefano Domenicali lange hingearbeitet. Ihm ging die beinahe "religiöse" Haltung der Politik mit Elektroautos als einzig denkbarem Weg hin zu CO2-neutralen Fahrzeugen schon seit Langem gewaltig gegen den Strich.

Im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' sagt Domenicali: "Bei der Elektrifizierung mag ich es nicht, wenn es eine Art Religion wird, bei der man sagt: 'Die Welt wird vollelektrisch sein und der Verbrennungsmotor ist der Teufel.' Diese Haltung ist nicht korrekt."

"Das Ziel, konsequent nachhaltig vorzugehen, ist richtig. Doch wie immer im Leben ist es entscheidend, wie man den Übergang gestaltet. Und wenn man auf etwas drängt, was nicht funktionieren kann, dann ist das ein Fehler. Im Grunde erreicht man damit auch nicht die größeren Ziele, die jeder erreichen will."

Wie sich die Formel 1 positionieren könnte

Die Formel 1 indes kann sich eine Zukunft vorstellen, in der Straßenwagen einerseits elektrisch, aber andererseits mit nachhaltig betriebenen Verbrennungsmotoren ausgerüstet sind. Fossile Kraftstoffe wären dann außen vor.

Wo genau die Trennlinie zwischen Elektro- und Verbrennungsmotor angesiedelt wird, das ist aktuell schwer vorherzusagen. Doch es dürfte entscheidend werden, wie die Formel 1 ihre Hybrid-Technologie und die Entwicklung nachhaltiger Kraftstoffe vorantreibt. Hier spielen sowohl der jeweilige Energieaufwand als auch die entstehenden Kosten eine Rolle.

Das ist der Grund, weshalb sich die Formel 1 nachhaltigen Kraftstoffen verschrieben hat. Denn damit wird diese Technologie schneller verbessert als im kommerziellen Umfeld.


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Domenicali meint: "Als wir die Entscheidung trafen, Hybrid-Antriebe mit nachhaltigem Kraftstoff einzusetzen, haben wir damit die Möglichkeit geschaffen, die Entwicklungszeit dieser neuen Technologie zu komprimieren. Und diese neue Technologie ist unbedingt erforderlich, wenn wir den CO2-Haushalt der Welt in Zukunft reduzieren wollen."

"Wir wissen heute: Die Elektrifizierung ist ein gigantischer Aufwand. Ich denke, die Formel 1 kann auf andere Weise zu diesem Ziel beitragen, aber auf deutlich effizientere Art und Weise."

"Wenn man bedenkt, wie viele Autos, kommerzielle Fahrzeuge, Lastwagen, Schiffe und Flugzeuge unterwegs sind, dann erkennt man schnell, dass man unmöglich auf nur eine Weise den schieren Energiebedarf decken kann."

"Und ich glaube, das ist der Grund, weshalb Honda zurückkommt, weshalb Audi [einsteigt] und andere Hersteller ihre Präsenz bestätigt haben. Denn sie sehen die Formel 1 als eine Möglichkeit, Nachhaltigkeit auf einem anderen Weg zu erreichen."

"Es ist hier auch interessant zu sehen, wie alle Kraftstoff-Hersteller einen Wandel vollzogen haben hin zu Energie-Lieferanten. So können wir das Nachhaltigkeitsprojekt auf sehr konsistente Weise angehen."

Auch die FIA sieht sich in der Verantwortung

An dieser Stelle kommt der Automobil-Weltverband (FIA) ins Spiel. Dessen Präsident Mohammed bin Sulayem erklärt frei heraus, die FIA stehe in der Pflicht, hier als Vorreiter zu agieren und das Beste für die Umwelt anzustreben.

Im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' erklärt er sein Credo: "Wenn wir keine Führungsrolle einnehmen, dann versagen wir. Ich würde die FIA gerne als Zentrum für die Zertifizierung von Kraftstoffen sehen. Denn als Regulierungsbehörde des Motorsports weltweit sind wir neutral, fair und man vertraut uns."

"Ich glaube, es regiert jetzt gesunder Menschenverstand: Gehen wir auf etwas zu, das wir erreichen wollen, oder verrennen wir uns dabei? Ich respektiere die Haltung der Regierungen, wenn sie auf Abwarten plädieren. Aber können wir nicht den Verbrennungsmotor behalten und trotzdem unsere Ziele erreichen? Es ist doch egal, wie wir es schaffen, solange wir [CO2-Neutralität] auf ethische Art und Weise erreichen."

Start zum GP Miami 2023: Sergio Perez führt

Die Formel 1 in der Saison 2023 beim Rennstart in Miami Zoom

"Ich bin da optimistisch. Nachhaltige Kraftstoffe sind wichtig. Die Leute haben versucht, sie zu verdrängen, aber jetzt werden diese Kraftstoffe bereits verwendet. Ich glaube: Wenn wir uns mit Energiekonzernen zusammentun, mit den Teams und den Herstellern, dann können wir alles Erforderliche umsetzen."

Die Formel 1 als treibende Kraft für Technologie

Und so steht der Formel 1 eine womöglich weitreichende Änderung bevor: Über Jahre hat die Rennserie mit ihrem Reglement versucht, ihre Relevanz für den Straßenverkehr sicherzustellen. Jetzt könnte die Formel 1 eine Vorreiterrolle dabei einnehmen, was in den kommenden Jahren auf der Straße passiert.

Vielleicht gelingt es der Formel 1, die öffentliche Haltung zu einem CO2-neutralen Verkehrswesen zu beeinflussen und die Frage aufzuwerfen, ob Verbrennungsmotoren nicht doch eine Zukunft haben im Alltag. FIA-Präsident bin Sulayem zeigt sich hier zuversichtlich, "aber vor uns liegt eine Herausforderung, die wir alle gemeinsam meistern müssen".

"Wenn ich es so sagen darf: Ich glaube, die Hersteller haben das Thema entspannt betrachtet, weil es mit E5 und E10 einen gewissen Prozess beim Kraftstoff gab. Jetzt aber gibt es großen Druck. Den stemmt man nicht im Alleingang. Hier sind die FIA und die Hersteller gefragt. Das ist unser aller Verantwortung."

Domenicali sieht an diesem Punkt eine große Chance für die Formel 1. "Zu glauben, der Verbrennungsmotor verschwindet im Jahr 2035, das ist, als würde man glauben, wir werden immer jünger. Das ist unmöglich", so sagt er.

"So etwas zu glauben, das ist ein Fehler. Damit führt man Menschen, die sich nicht zu sehr mit der Materie befassen, in die Irre. Deshalb halte ich es für unsere Verantwortung, dass wir bei diesem Thema unseren eigenen Beitrag leisten."

"Niemand kennt die Grenzen, an die wir in Zukunft stoßen. Aber man darf sich die Frage stellen: Wenn wir eines Tages einen vollkommen nachhaltigen Kraftstoff haben, mit dem wir das Null-Emissionen-Ziel erreichen, worin liegt dann der Vorteil, eine ganz andere Richtung einzuschlagen?"